Sonntag, 09. Juni 2024, 08:00 Uhr
von Prof. Dr. Sebastian Seiffert

Klimaschutz? Schutz vor dem Klima!

Sich der Klima-Lage bewusst zu werden, hat mehrere Phasen. Schock. Wut. Depression. Und dann hoffentlich Akzeptanz. Doch dort anzukommen, hat einen hohen Preis: die Anerkennung einer Zukunft des Zusammenbruchs. Und von Adaption; auch bei sich selbst.

Ein epochaler Umbruch

Sich der Klimakrise gewahr zu werden, heißt immer wieder dazuzulernen. Das fängt schon bei der Begrifflichkeit an. Klimakrise – das passte vielleicht vor fünf Jahren. Inzwischen sind wir weiter. Ich nenne es nunmehr Klimanotlage. Vielleicht wäre sogar Klimakollaps passender. In ehrlichen Momenten erzählen mir selbst gestandene Experten im Zwiegespräch, dass sie nicht wirklich erklären können, was zurzeit mit den Meeren geschieht. Und bedeutete Klimawandel für mich vor einigen Jahren noch vor allem Dürre und Niedrigpegel, erleben wir aktuell das Gegenteil. Es passiert beides – in immer schnellerer und drastischerer Abfolge. Ein Stück weiter südlich schwingt das Pendel noch stärker: von infernalen Bränden in der einen Woche zu Sturzbachfluten in der nächsten. Das Metal-Herz in mir denkt dabei an den Kreator-Titel „From flood into fire“ (wo es weiter hinten trefflich heißt: „We’re in this together“).

Bei mir waren es vor ein paar Jahren die Trockensommer und ihre Folgen, die mich zum ersten Mal spüren ließen, dass irgendetwas da draußen nicht stimmt. Die Bilder ockergelber norddeutscher Steppenlandschaften unterstrichen 2018 die brutalen Eindrücke, die mir damals und vor allem in den Folgejahren umso schmerzhafter in meiner geliebten Harzer Heimat entgegenschlugen.

Sich der Klimakrise klar zu werden heißt auch, dass nichts mehr bleibt, wie es war. Am Anfang steht ein Schock. Ein Schock darüber, wie die Lage wirklich ist. Dass du das selbst so lang nicht erkannt hast. Und was das nun bedeutet. Es sickert langsam ein; und verändert alles.

Es hat hierzu schon den Vergleich mit den Sterbephasen im Kübler-Ross-Modell gegeben: Verdrängung. Wut. Verhandeln. Depression. Und schließlich Akzeptanz. Ich habe jede davon durchlebt. Vor etwa zwei bis drei Jahren steckte ich tief in der Depression. In einem Video gab ich dem im September 2022 Ausdruck; es wurde damals auf Twitter über 100.000 Mal gesehen und stieß auf viel Resonanz. Offenbar sprach es vielen aus der Seele.

In einem Video, das ich am 3.9.2022 auf Twitter veröffentlichte, gab ich meiner damaligen depressiven Phase der Klima-Verarbeitung Ausdruck. Die Kulisse dafür bildete eine wüste Kahlschlagfläche eines vertrockneten Oberharzer Forsts, den ich seit Kindheitstagen kannte. Einige Tage zuvor hatte ich dort im damaligen Familienurlaub auf einer kurzen Wanderung eine Abzweigung verpasst, die ich unzählige Male im Leben schon gegangen war, weil ich sie einfach nicht mehr erkannt hatte. Die Wege meiner Jugend, die ich einst mal mit meinen eigenen Kindern neu entdecken wollte, ich finde sie nicht mehr.

Es gibt verschiedene Wege, damit umzugehen. Mein eigner bestand fortan darin, aktiv zu werden. Manche nennen es Aktivismus; was okay für mich ist. Ich empfinde den Begriff nicht als Diskreditierung, sondern als treffende Beschreibung. Wir sind alle Aktivisten; auch und besonders, wenn wir nicht handeln. Denn auch das hat einen Effekt darauf, in welche Zukunft wir steuern. Passivität ist nicht neutral.

Meine Art des Aktivwerdens bestand vor allem in der Kommunikation. Ich steuerte Lehrbeiträge zur bundesweiten Public Climate School bei, konzipierte in Mainz ein Zukunftsmodul zur Klimabildung mit und trat verschiedentlich als Klima-Kommunikator in Erscheinung: in sozialen Medien, Podcasts, Blogs, Rundfunk, TV, Printmedien, und mehr. Ich initiierte in Mainz zwei große Podiumsdiskussionen zu den Fragen Muss Wissenschaft lauter werden? und Follow the Science? und diskutierte in Dresden auf einem Podium der Psychologists for Future mit dem sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer.

Bei alldem stellte ich oft und stetig das Pariser Klimaschutzabkommen in den Mittelpunkt; als existierendes internationales Übereinkommen, vom Bundestag einstimmig angenommen und vom Bundesverfassungsgericht nochmals unterstrichen, aus dem sich gleichsam eine internationale wie nationale Verpflichtung zur drastischen Emissionsreduktion ableitet. Insbesondere eine Größe hatte es mir in diesem Kontext angetan: Das Treibhausgasbudget. Ich fand dies ein griffiges Konzept, um den nötigen Klimaschutz und dessen Dringlichkeit konkret zu beziffern. Bei zahlreichen Gelegenheiten stellte ich heraus, dass durch die Annahme des Pariser Abkommens im Grunde über jeder Maßnahme, über jedem Sektor, über einfach allem eine Art Treibhausgas-Finanzierungsvorbehalt stehen sollte; genau wie der weithin unhinterfragte normale monetäre Finanzierungsvorbehalt.

Vielleicht aber lag ich damit falsch. Denn eben dieses Konzept, so griffig es auch sei, impliziert etwas, das vielleicht gar nicht da ist: eben ein Restbudget. Einen zwar engen aber dennoch existierenden Spielraum zum Zeitlassen.

Doch dies existiert nicht mehr. Wir haben die für die Menschheit sichere Epoche des Holozäns verlassen, die über zehntausend Jahre lang klimatische Planbarkeit bot und damit Landwirtschaft, arbeitsteilige komplexe Gesellschaften und alle modernen menschlichen Errungenschaften erst ermöglichte. Stattdessen befinden wir uns bereits jetzt in unbekanntem, gefährlichem Gebiet. Das Budget ist aufgebraucht. Bereits jetzt ist alles, was wir tun, Hochrisiko. Jede weitere Gigatonne führt tiefer in den Nebel. Oder sagen wir lieber: in die Rauchschwaden eines Infernos.

Eine neue Realität

Wie gehen wir nun damit um; als einzelne und gesellschaftlich? Es gibt aktuell viel darüber zu erfahren. Und auch dabei heißt es, immer wieder dazuzulernen. Es wurde viel geschrieben über gesellschaftliche Kipppunkte. Darüber, dass nur genug Menschen anfangen müssen in eine neue Richtung zu gehen, und dass der Rest dann folgen werde. Und es gab viel, viel Hoffnung, als dies 2019 zu beginnen schien. Als eine junge Generation genau diesen Weg ging. Freitags. Hunderttausendfach.

Heute gilt es, neuen Realitäten entgegenzublicken. Ich habe sie jüngst im Hörsaal erlebt; in meiner Grundvorlesung Physikalische Chemie. Dort sitzt eine neue Generation. Der Abitur-Jahrgang 2023. In meinem Fall frisch eingeschrieben für ein MINT-Studienfach.

Ich habe es mir im Zuge meiner Klima-Kommunikationsaktivitäten angewöhnt, auch in meinen Grundvorlesungen Klima-Aspekte zu thematisieren. Nicht, um Studierende zu verängstigen oder zu indoktrinieren. Sondern einfach, um an ein paar Stellen entlang des Curriculums, da wo es eben gut passt, Bezüge dazu aufzuzeigen. Besonders in der ersten Semesterwoche lasse ich gern Raum für größere Kontexte und Fragen. Worum geht es in der Physikalischen Chemie? Wie arbeitet Naturwissenschaft? Und was hat das alles mit uns zu tun? Ich erzähle dann stets, was mich selbst so unbeschreiblich daran fasziniert; und was mich gleichsam so unbeschreiblich sorgt, seit mir die Klimasituation klar wurde.

So war es auch in diesem Jahr zum Start des Sommersemesters. Ich zeigte aktuelle Klimadaten. Die viel zu hohen Luft- und Meerestemperaturen. Und aktuelle Publikationen über Kollaps-Risiken im Erdsystem. Bisher stieß das immer auf Interesse. Zwar bedrückt, aber bewegt. Diesmal war es anders. Von rund 150 Personen im Hörsaal verließen gut 20 die Vorlesung während dieses Teils. Als ich anschließend die Dagebliebenen fragte, ob wir im Laufe des Semesters (da wo es eben thematisch passt) weiter darauf eingehen sollen, sprach aus vielen Gesichtern Ratlosigkeit. Einige nickten zaghaft. Niemand ergriff das Wort. Auch meine Gegenfrage blieb unbeantwortet. „Wir müssen das nicht tun; wir können auch einfach den Lehrplan durchziehen, ohne Klima. Wollen Sie das lieber?“ Wieder keine Antwort. Sondern vielmehr vor allem ratlose Blicke.

Ein paar Wochen später kamen wir zum ersten Hauptsatz der Thermodynamik und zu den Begriffen Reversibilität und Irreversibilität. Ich nutze die Gelegenheit für einen kurzen Exkurs zur Irreversibilität der Klimaveränderungen. Zu diesem Zeitpunkt nahmen noch etwa 100 Studierende an der Vorlesung teil (der Rückgang von vormals 150 ist normal und passiert immer über die ersten paar Wochen). Niemand, absolut niemand davon konnte meine Frage beantworten, auf wieviel der Treibhausgasausstoß global zu reduzieren sei, um die Temperatur zumindest konstant zu halten. Nach einiger Zeit sagte jemand leise: „So auf 50 Prozent vielleicht?“ Nachdem ich daraufhin die Notwendigkeit einer Nettonull-Emission zur Klimastabilisierung erklärte, und dass auch das ein deutlich unbequemeres Klima für Jahrtausende bedeutet, kamen nach der Stunde zwei Studierende zu mir. Es waren solche, die sonst immer in der ersten Reihe sitzen und die Vorlesung bis dahin schon mehrfach durch gute Fragen und Beiträge bereichert hatten. Sie meinten, dass sie sich einfach mal bedanken wollten; so deutlich hätte ihnen das bisher noch nie jemand erklärt.

Diese zwei Geschichten sind für mich symbolisch. Sie zeigen etwas, das ich auch in der Gesamtgesellschaft wahrnehme: Eine gefährliche, lähmende und erdrückende Mischung aus Desinteresse und Unwissen. Das Klima-Thema ernüchtert. Viele wollen es nicht mehr hören. Viele können es nicht mehr hören. Viele sind ratlos. Und unendlich müde. Das Momentum von einst ist verpufft. Dauerkrisen haben uns mürbe gemacht; und so richtig mitreißen kann irgendwie kein Handlungsansatz. Vielleicht wünschen sich die meisten schon noch irgendwie, dass jemand das Problem lösen werde. Aber es ist zäh. Bleiern. Ermattend. Und vermutlich auch ein Loser-Thema bei Wahlen.

Was heißt das nun? Dass wir uns auf brutale Folgen einstellen müssen. Dass uns selbst bei einem Stopp der Erhitzung irgendwo halbwegs unter 2 °C nie dagewesene Hitze, Dürre und Wetterextreme drohen, die die Art wie wir arbeiten, Landwirtschaft betreiben und unser Leben organisieren vor immense Umbrüche stellen wird. Und dass selbst das wohl gar nicht mehr erreichbar ist. Sara Schurmann schreib dazu in ihrem Buch Klartext Klima, dies werde „nur möglich sein, wenn die Regierungen dieser Welt innerhalb kürzester Zeit bisher ungesehene, politisch derzeit undenkbare Maßnahmen einleiten.“ Und mehr noch: „Derzeit sind weder die nötigen Maßnahmen in Sicht, noch überhaupt halbwegs realistische Diskussionen, wie diese aussehen könnten und müssten.“ Um es einzuordnen: Für eine (hypothetische!) Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C müsste der Reduktionspfad so steil sein wie während der härtesten Phase der Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020. Die Emissionen müssten global bis 2030 auf den Stand der 1960er sinken! Und danach bis zur Jahrhundertmitte auf null. Zero. Nichts mehr. Global! Und damit immer noch nicht genug. Ab dann braucht es Negativemission. Carbon Dioxide Removal in ganz großem Stil, zurück auf deutlich unter 400 ppm bis zur Mitte des Folgejahrhunderts. Die Technologie dafür existiert in dieser Skalierung noch gar nicht. Von Ausbau und globaler Umsetzung gar nicht zu reden.

Eine neue Priorität

Daraus folgt für mich nun vor allem eines: Klimafolgen-Anpassung ist für mich -die- neue Priorität. Ich will im Folgenden ausführen, was ich damit meine.

Lange, viel zu lange gab es keinen ausreichenden Klimaschutz. Das hat uns dahin geführt, wo wir nun stehen. Irreversibel. Es gilt nun, dessen gewahr zu werden. Und den Fehler im Hinblick auf Adaption nicht zu wiederholen. Vor allem, weil das fortan in rasantem Tempo immer schwerer werden wird. Durch immer brutalere Klimafolgen. Und durch immer brutalere gesellschaftliche Verwerfungen.

Bei Klima und Gesellschaft haben wir es mit komplexen Systemen zu tun. Mit denen kenne ich mich als Physikochemiker etwas aus. Komplexe Systeme sind mehr als bloß komplizierte Systeme. In komplizierten Systemen ist das Wechselspiel der Systemkomponenten unübersichtlich. In komplexen Systemen ist es unvorhersagbar. Jedenfalls dann, wenn sie ihren Stabilitätsbereich verlassen.

Komplexe Systeme unterscheiden sich von komplizierten Systemen dadurch, dass es Rückkopplungen in den Beziehungen zwischen den Systemkomponenten gibt. Das macht sie einerseits erstaunlich resilient und stabil. Sie können beachtlichen Stress aushalten und dennoch immer wieder in ihre Gleichgewichtslage zurückkehren. Wenn aber der Stress zu groß wird, können dieselben Wirkprinzipien dazu führen, dass diese Systeme in komplett neue Zustände kippen. Bisweilen irreversibel. Das Bild dazu ist ein Schnappschuss aus einem Vortrag im Mainzer-Staatstheater im Januar 2024 mit dem Titel „Forschung, Lehre, Weiter so? Akademische Wissenschaft in der Klimakrise.“

Das Erdsystem ist das für uns größte und wichtigste komplexe System, das seinerseits wieder aus komplexen Teilsystemen besteht, hauptsächlich in Form seiner Eiskörper, seiner Ökosysteme und seiner Strömungssysteme. In all diesen gibt es beängstigende Evidenz für die Existenz von Kippelementen, die wenn sie einmal angestoßen sind, selbstverstärkend und unbremsbar, ja vielleicht sogar gekoppelt und gegenseitig anschiebend, epochale Veränderungen hervorrufen können. Ein Charakteristikum, das alle komplexen Systeme teilen, ist das Auftreten von Fluktuationen beim Erreichen solcher Übergangspunkte. Ich durfte das vor rund zehn Jahren selbst untersuchen, an Polymer-Mikrogelsystemen, die kritische Übergänge zeigen. Ich verbrachte damals ganze Nächte damit, Dichtefluktuationen bei solchen Übergängen durch Neutronenstreuung am Helmholtz-Zentrum Berlin zu studieren. Wenn ich mich heute indes etwa im Harz umschaue, dann brauche ich keine Neutronenstreuung um dort -deutliche- Fluktuationen wahrzunehmen.

Auch Gesellschaften sind komplexe Systeme. Auch dort ist mit Kippvorgängen zu rechnen. Und manchmal frage ich mich, ob wir nicht schon längst genau dies erleben. Das Kippen des gesellschaftlichen Zusammenhalts in die Instabilität. In ein Zeitalter der Gräben und Grabenkämpfe, der Desinformationen und Destabilisierung.

Das Wechselspiel aus beidem bereitet mir schlaflose Nächte. Denn die Perspektive, die sich daraus ergibt, ist furchterregend.

Ich habe dem wenig entgegenzusetzen. Und eben daraus folgt für mich nun vor allem eines: Klimafolgen-Anpassung als neue Priorität. Wir brauchen sie dringend, um uns für kommende Brachialereignisse vorzubereiten. Jedes Hochwasser, jede Dürre und jedes Extremwetter zeigen wieder und wieder, dass unsere Infrastruktur dafür nicht gemacht ist. Wie denn auch? Sie stammt aus einer anderen Epoche.

Und ich sehe darin noch etwas anderes: eine Chance. Es gibt viele übliche Vorbehalte gegen Klimaschutz. Der vielleicht typischste ist das leidige „Zwei-Prozent-Argument“. Es geht letztlich auf bestimmte Grundhaltungen zurück. Nimmt jemand von anderen Menschen eher eigennütziges oder eher selbstloses Handeln an? Das hängt sicher auch damit zusammen, wie das eigene Umfeld dabei tickt. Und vielleicht ist genau das einer -der- Unterschiede zwischen progressiv und konservativ eingestellten Menschen. Die einen nehmen in der Regel eher selbstlose, die anderen eher eigennützige Absichten beim Gegenüber an. Und letztere sehen Klimaschutz vielleicht nicht zuletzt deshalb skeptisch, weil sie sich schlicht nicht vorstellen können, dass andere dabei einfach so mitmachen werden. Sie gehen vielmehr davon aus, dass eigene selbstlose Bestrebungen von anderen sicherlich ausgenutzt würden. Vor allem, wenn es um globale Dimensionen geht.

All dies trifft nun aber auf Klimafolgen-Anpassung nicht zu. Dies ist kein globales, sondern ein höchst lokales Thema. Und ein höchst eigennütziges. Es geht dabei nicht darum die Welt zu retten, sondern erstmal die eigene Haut. Hierüber müsste es doch eigentlich möglich sein, auch Menschen zu gewinnen, die dem Klimaschutz eher skeptisch gegenüberstehen. Und dadurch vielleicht einen ganz großen gesellschaftlichen Graben zumindest teilweise zu überwinden.

Mein eigenes Aktionsfeld in diesem Bereich ist vor allem ein Forschungsprojekt, das mir ganz besonders am Herzen liegt. In einem Verbundvorhaben entwickeln wir Hydrogele zur Meerwasserentsalzung. Die Schlüsselidee ist, dies mit temperaturschaltbaren Gelen zu realisieren. Damit kann ein Temperaturunterschied, etwa während des natürlichen Tag-Nacht-Wechsels, als Antrieb dienen. Dies könnte vor allem kleinen Siedlungen oder Einzelhaushalten in Regionen helfen, die keinen Zugang zu großen Entsalzungsanlagen haben; etwa in wirtschaftlich schwachen Regionen des Mittleren Ostens. Wir beforschen dieses Thema zusammen mit Arbeitsgruppen aus genau dieser Region, aus dem Irak und Iran. Es erfüllt mich mit tiefer Demut. Als Kind waren es die Fernsehbilder vom Irak-Iran-Krieg in den 1980ern, die mich vielleicht zum ersten Mal im Leben verstörten. Ich war noch zu klein, um zu verstehen, worum es dabei ging. (Heute weiß ich, dass einer der Auslöser neben der machtpolitischen Rivalität der beiden jungen Regime wohl auch ein Streit um den Grenzverlauf entlang des Tigris war, eine der beiden großen Wasser-Lebensadern der Region.) Dennoch war ich schon groß genug, um zu fühlen, dass das etwas Furchtbares ist. Heute arbeite ich mit Wissenschaftlern aus beiden Ländern zusammen an einem Lösungsbeitrag zu einem großen, gemeinsamen Problem. Und all die politischen Spannungen und Komplikationen, die es auf staatlicher Ebene mit diesen Ländern gibt, spielen in unserer Zusammenarbeit absolut keine Rolle. Selbst zu Weihnachten bekomme ich von diesen Partnern stets Grüße in einer Herzlichkeit und Wärme wie von kaum jemand meiner hiesigen, christlichen Bekannten.

Laborszene aus unserem Forschungsprojekt HydroDesal. Ziel ist es, temperaturschaltbare Hydrogele zu entwickeln, mit denen Wasser ohne besondere Energiezufuhr einfach durch Temperaturunterschiede entsalzt werden kann. Als Antrieb kann dazu etwa der natürliche Tag-Nacht-Wechsel dienen. Damit könnten sich kleinere Siedlungen oder Einzelhaushalte in Trockenregionen autark mit Trinkwasser versorgen.

Und doch ist auch dies kein Happy End. Die Finanzierung des Projekts läuft bald aus, und die Suche nach Anschluss, um die Methode in die Anwendung zu führen, ist bisher nicht leicht. Ein professionelles Imagevideo, das wir hierzu kürzlich veröffentlicht haben, hat bislang vor allem zwei Interessenten erreicht. Der eine denkt an Luxushotels in Dubai, die damit ein paar grüne Akzente setzen könnten. Der andere hat einen Einsatz im militärischen Bereich im Sinn. Beides ist nicht ganz das, was ich mir dabei vorstelle. Und doch passt beides irgendwie in diese bizarre Zeit.

Was folgt nun aus alldem? Ich kann mich nur wiederholen: Sich der Klimakrise gewahr zu werden, heißt immer wieder dazuzulernen. Selbst wenn das bedeutet, die Phasen der Klima-Verarbeitung wiederholt zu durchlaufen. Ich bin zurzeit wieder dabei; und dabei verschieben sich Prioritäten. Ich will damit übrigens keinesfalls Klimaschutz infrage stellen. Er ist vielmehr absolute Notwendigkeit für zumindest irgendeine Chance auf Anpassung. Es besteht kein Widerspruch zwischen beidem. Vielmehr gehört beides zusammen.

Am Ende bedeutet Klimaschutz vor allem eines: Schutz vor dem Klima.