Samstag, 12. März 2022, 00:00 Uhr
von Prof. Dr. Sebastian Seiffert

Muss Wissenschaft lauter werden?

Vor 3 Jahren traten die Scientists for Future in Erscheinung, um die Klimaschutzbewegung mit Fakten zu stützen. Seitdem ist die Klimakrise weiter fortgeschritten, findet aber immer noch keine adäquate Wahrnehmung. Muss die Wissenschaft lauter werden?
Der folgende Text erscheint zum dreijährigen Gründungsjubiläum der Scientists for Future Deutschland (S4F) und nimmt hierauf Bezug. Es handelt sich jedoch nicht um einen S4F-Text, sondern um rein persönliche Gedanken des Verfassers.

Klimaschutz: Ein Thema für Profis?

Vor gut drei Jahren setze sich Greta Thunberg vor das Schwedische Parlamentshaus. Sie hatte ein Schild mit der Aufschrift „Skolstrejk för Klimatet“ dabei. Zuerst saß sie dort allein. Doch dabei sollte es nicht bleiben. Aus ihrem Streik erwuchs die weltweite Bewegung Fridays for Future. Etwa ab Herbst 2018 erreichte die Welle Deutschland, und Klimastreiks wuchsen auch hierzulande von Woche zu Woche. Als FDP-Chef Lindner Anfang 2019 verlautbarte, man solle den Klimaschutz doch lieber den Profis überlassen, erzeugte er damit viel Aufregung; und wurde damit gleichsam zum Geburtshelfer der Schwesterbewegung Scientists for Future.

Ein Motto der Scientists for Future lautet „Wir liefern die Fakten“. Damit positionieren sie sich als recherchierender Teil der for-Future Bewegung. Noch heute gibt es nicht wenige Stimmen innerhalb der Scientists for Future, nach denen es nicht Aufgabe der Wissenschaft sei politische Handlungsweisen vorzuschlagen, sondern vor allem den wissenschaftlichen Status Quo objektiv in den Diskurs einzubringen. „Wir liefern die Fakten“ eben.

Faktenlage heute

Seitdem ist viel passiert. Wenn wir jedoch auf die Fakten schauen, so sehen wir bislang keine Erfolge. Die Konzentration an Treibhausgasen hat sich seit 2019 weiter stark erhöht. Soviel wir also auch über das Klima reden, debattieren und streiten, so wenig scheint davon in der physikalisch messbaren Realität anzukommen.

Die atmosphärische Konzentration der wichtigsten Treibhausgase, hier gezeigt sind Kohlendioxid und Methan, stieg seit 2019 ungebremst an. Dünne Linien: Verbindung der Messpunkte zur besseren Sichtbarkeit; dicke Linien: gleitender Durchschnitt. Der Hintergrund zeigt eine tote Waldfläche im Harz als Symbolbild für eine der Auswirkungen der Erdüberhitzung durch den anthropogenen Treibhauseffekt.

Auch in der Gesellschaft ist viel passiert. Eine Pandemie hat vieles auf den Kopf gestellt; und das Klimathema wiederholt in den Hintergrund gedrängt. Ein Krieg ist in Europa ausgebrochen und bestimmt derzeit jegliche Berichterstattung. Der öffentliche Diskurs ist seit 2020 rauer geworden, und es offenbarte sich ein radikalisiertes Lager Unerreichbarer, die keinerlei Vernunftargumenten und Sachlichkeit zugänglich sind. Selbst die ersehnte Klimawahl im Herbst 2021 war geprägt von Scheindebatten um Nebenthemen und das allgegenwärtige Narrativ „was soll uns das Klima kosten?“

Parallel dazu sehen wir zunehmend die Auswirkungen der Klimakrise schon selbst bei bloß 1,2 °C mittlerer globaler Erwärmung. Es gab Tornados in Europa, Hitzekatastrophen in Argentinien, Australien, Kanada und Sibirien, eine brutale Hungersnot in Madagaskar, Hochwasser in Deutschland, und infernale Brände am Mittelmeer. Beinahe wie ein Begleitbuch dazu erschien der 6te IPCC Bericht und zeigte uns, dass selbst eine Begrenzung der Erwärmung auf 2 °C kaum noch schaffbar scheint. Ein Zusatzteil dieses Berichts, der sich speziell an politische Lenkungskräfte richtete, wurde in einer Vorversion durch die Gruppierung Scientist Rebellion geleakt. Und damit erfährt die hier erzählte Geschichte eine Wendung; denn jene Aktion überschreitet klar die Grenzen reiner sachlicher Faktensuche und führt ins Gebiet des Aktivismus — betrieben durch Wissenschaftler:innen.

Wissenschaft in der Klimakrise: Seriosität vs. Aktivismus

Auch ich finde mich im Spannungsfeld aus „seriöser Wissenschaft“ und „Aktivismus“ wieder. Ich bin Physiko-Chemiker, Klimaschützer, wirke bei den Scientists for Future in Mainz mit und war in dieser Stadt zuletzt auch durch eine Direktkandidatur zur Bundestagswahl politisch aktiv. Damit verbunden war der Anspruch, im Wahlkampf und in Debatten klar den Ernst der Lage zu benennen. Es verwundert nicht, dass das Kritik erzeugt. Mir wurde Alarmismus und Weltuntergangs-Wahn vorgeworfen. Ich geriet ins Visier von Atomkraft-Verfechtern und wurde als Pseudo-Wissenschaftler bezeichnet. Und immer wieder kam dieser eine Vorwurf: Aktivismus.

Was ist Aktivismus? Ich denke, Klima-Aktivisten werden gemeinhin die genannt, deren Forderungen jenseits der gewöhnlichen Vorstellungskraft liegen. Das heißt aber nicht, dass sie jenseits des physikalisch nötigen (und des technisch machbaren!) liegen. Ich habe dazu mal gesagt: „Manche nennen uns Aktivisten. Ja, das passt; wir sind aktiv. Wir wollen den Wandel gestalten, statt Krisen verwalten.“

Evidenz und Mehrheit

Auf einer Podiumsveranstaltung wurde mir im Wahlkampf einst folgende Frage gestellt: „In der Wissenschaft setzt sich doch die Erkenntnis durch, die am besten durch Beobachtungen und saubere Schlussfolgerungen untermauert ist; es geht in der Wissenschaft um Evidenz und Fakten. In der Politik geht es dagegen um Überzeugungskraft und Mehrheiten. Wie vollziehen Sie als Wissenschaftler den Übergang vom einen zum anderen? Ich musste überlegen, ob ich darauf frei nach Max Planck antworten sollte: „Ach, wissen Sie, auch in der Wissenschaft geht es viel um Mehrheiten. Bis sich dort eine neue Erkenntnis durchsetzt, müssen Sie manchmal warten bis die Vertreter der alten aussterben.“

Doch im Ernst: Diese Anekdote zeigt ein Kernproblem. Künftige Konflikte, ja vielleicht sogar Kriege, werden weniger durch unterschiedliche Positionen oder Ideologien begründet sein (Kampf um Weltanschauungen), sondern durch Naturgesetze und unsere Ignoranz derselben, die zu globalen Krisen führt (Kampf um Ressourcen). Die Pandemie hat uns erste moderate Ausblicke gegeben; und die Klimakrise wird das noch viel weiter treiben. Mein Kollege Harald Lesch sagte in seinen Vorträgen oft: „Ein Gesetz lautet »Du darfst nicht«; ein Naturgesetz lautet »Du kannst nicht«.“ Wir haben es zunehmend mit genau dieser Diskrepanz zu tun. Menschen verstehen ein »Du kannst nicht« nicht als unverhandelbares Naturprinzip, sondern als Freiheitseinschränkung. Sie denken nicht in naturwissenschaftlichen Kontexten, sondern in gesellschaftlichen Kontexten; dort gibt es kein strenges »Du kannst nicht«. In der Wissenschaft gibt es das aber. Die ist vielen jedoch nicht zugänglich. Deshalb müssen Wissenschaftler:innen eben dies in den Diskurs einbringen.

Listen to the Science?

Fridays for Future sagt „Listen to the Science“. Doch das ist wertlos, wenn wir nicht sprechen! Die Wissenschaft muss lauter und deutlicher werden. Wer sonst sollte das tun? Vor allem wir Wissenschaftler:innen erkennen doch was Kippelemente sind, was exponentielle Effekte sind und was Kettenreaktionen sind. Es ist unsere Pflicht dies offen zu sagen. Das ist kein Alarmismus oder Untergangswahn. Das ist Verantwortung. Es nicht zu tun, wäre Eskapismus. Ein berühmtes Zitat, das Albert Einstein zugeschrieben wird, lautet: „Diejenigen, die das Privileg haben zu wissen, haben die Pflicht zu handeln.“

Jetzt mögen manche einwenden: Aber wir hatten das ja schon in der Pandemie. Da war Wissenschaft im Diskurs sehr präsent, und da haben auch (zumindest anfangs) alle zugehört. Das Problem war aber in diesem Fall, dass die Öffentlichkeit dabei dem wissenschaftlichen Erkenntnisprozess live zugeschaut hat, in dem sich Erkenntnisse und Folgerungen wöchentlich änderten; für alle live in Echtzeit hörbar in Drostens Podcast. Das führte zu Argwohn gegenüber der Wissenschaft, der noch dadurch verstärkt wurde, dass aus ihrer Richtung bzgl. der Pandemie eben keine schnellen Wunderlösungen kamen, sondern oft Warnungen und Empfehlungen zu einschränkenden politischen Maßnahmen. Es ist klar, dass das Abwehrhaltungen schürt und verstärkt. Ein in Teilen polemischer medialer Diskurs goss noch Öl ins Feuer.

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fürchten nun offenbar, dass noch ausgeprägterer Argwohn gegen sie entstehen könnte, wenn sie sich beim noch viel heißeren Thema Klima ähnlich einbringen. Wissenschaft soll sich eben besser nur mit schönen Dingen zu Wort melden, etwa wenn wir mal wieder was erfunden haben das das Leben angenehmer macht.

Ich möchte dem folgendes entgegenhalten: Beim Klimathema besteht ein etablierter wissenschaftlicher Konsens. Und dieser muss von verschiedensten Stimmen, von uns allen, überall erklingen; im Privaten und Öffentlichen. Nur so erkennt die Öffentlichkeit den Konsens. Im öffentlichen Diskurs zählen eben Mehrheiten, nicht Evidenzen. Wir müssen uns darauf zubewegen … und eben eine hörbare Mehrheit werden.

Sticker der Students for Future auf dem Campus der Uni Mainz: „Unite Behind The Science“

United in Science

Überdies muss die Wissenschaft auch nach innen kommunizieren. Selbst in der wissenschaftlichen Gemeinschaft, sogar in Fächern wie Chemie und Physik, die der Klimaproblematik sehr nahestehen, gibt es noch viel zu wenig Bewusstsein um die klimatische Krisenlage. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler widmen sich nach wie vor eremitenartig ihren Fachthemen. Zum Klimathema gibt es noch zu oft Achselzucken und Ratlosigkeiten. „Naja, hoffentlich erfinden die Physiker bald die kalte Fusion, dann sind alle Probleme gelöst“ könnte solch eine lauten. Wieder war es Scientist Rebellion, die hierfür den Vergleich anführten, dass ein „Business as Usual“ im Wissenschaftsbetrieb mitten in der Klimakrise einem Geschirrspülen im brennenden Haus gleicht.

Auch hier muss der aktive und bewusste Teil der Wissenschaft lauter sein. In kollegialen Runden müssen wir mutig sein auch unangenehme Fragen zu stellen. „Macht Ihr Euch eigentlich auch Sorgen über Klima-Kipppunkte, liebe Kollegen?“ könnte solch eine Frage lauten. Oder „Wie ist Eure Wahrnehmung der zunehmenden Wissenschaftsfeindlichkeit in Teilen der Gesellschaft, etwa beim Klima-Thema?“

Unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gibt es wenig aktive Ignoranz der Klimakrise; eher eine Art Eremitendasein in der Blase des eigenen Forschungsthemas. Brechen wir diese Blasen auf. „Unite Behind The Science“ bedeutet auch „Unite Within The Science“.
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Die Kernaussage dieses Text hat persönliche Unterstützung einiger Wissenschaftler:innen, zu denen der Autor persönliche oder Social-Media Kontakte unterhält:
  • Dr. Volker Quaschning (HTW Berlin, Scientists for Future Deutschland)
  • Dr. Gregor Hagedorn (Museum für Naturkunde Berlin, Leibnitz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung, Scientists for Future Deutschland)
  • Özden Terli (Dipl.-Meteorologe, Mainz)
  • Lea Dohm (Psychologists for Future Deutschland)
  • Dr. Stefan Holzheu (Uni Bayreuth und Scientists for Future Bayreuth)
  • Prof. Dr. Martin Hundhausen (FAU Erlangen und Sonnenenergie Erlangen e.V.)
  • Prof. Dr. Michael Schmitt (HHU Düsseldorf und Scientists for Future Düsseldorf)
  • Prof. Dr. Michael Sommer (TU Chemnitz)