Physikalische Chemie des Klimawandels
Lectures for Future – Eine E-Mail mit Folgen
Dass es so etwas wie eine Klimakrise gibt, war mir lange nicht klar. Wie den meisten Menschen nicht. Ich wusste zwar schon, dass es so etwas wie den Klimawandel gibt. Und dass er nicht gut ist. Aber wie so viele andere verortete ich ihn in weit entfernte Gegenden und eine ferne Zukunft. Im Hier und Jetzt interessierte mich bis in den Herbst 2019 hinein vor allem meine wohlige wissenschaftliche Blase aus Physikalischer Chemie und Polymeren. Bis eines Tages eine E-Mail in diese Blase vordrang. Sie stammte von den Scientists for Future. Es ging darin um eine Aktion namens #LecturesForFuture, die am 29.11.2019 stattfinden sollte, für den auch ein weltweiter Klimastreik durch Fridays for Future anstand. In der Mail wurden Lehrende an Unis und Fachhochschulen dazu aufgerufen, ihre regulären, curriculären Lehrveranstaltungen an diesem Tag durch Sonderstunden zum menschengemachten Klimawandel zu ersetzen. Ich fand die Aktion gut – und beschloss, mitzumachen. Passenderweise stand an diesem Tag ohnehin meine Grundvorlesung Physikalische Chemie auf dem Plan, und dort passt das Thema generell gut rein.
Zuerst hatte ich gar nicht daran gedacht, daraus irgendwie eine größere Aktion zu machen. Ich wollte einfach an dem Tag wie sonst auch in den Hörsaal kommen und dann verkünden, dass statt des Regel-Curriculums heute eben eine Sonderstunde zum Thema „Physikalische Chemie des Klimawandels“ gemacht würde. Irgendwie kam mir dann aber vorab in den Sinn, dass es bei einer Kohorte von rund 50 Studis (so viele waren in dem Semester regelmäßig im Hörsaal) sein kann, dass jemand darunter diese Aktion blöd findet und sich beschwert – eventuell gleich beim Uni-Präsidenten oder unserem Dekanat. Und da wäre es ungünstig, wenn man dort davon gar nichts weiß. Also setzte ich unser Dekanat über meine Absicht in Kenntnis; und stieß dort auf Interesse. Schnell kam die Frage, ob ich damit einverstanden sei die Vorlesung zu filmen und das Video ins Netz zu stellen. Klar, warum nicht? – Ich sagte zu. Um dann wiederum zu merken: Mmh, jetzt muss die Stunde aber auch gut werden. Und so begann ich mich einzuarbeiten. Tief einzuarbeiten. Sehr tief einzuarbeiten. Und dabei wurde mir das Ausmaß der Klimakrise erstmals bewusst. Es war eine Art Aufwachen — und zwar ziemlich unsanft.
Die Sonderstunde lief gut, und das Video davon wurde in den Tagen danach und auch im weiteren Verlauf der Zeit gut wahrgenommen.
Ein neues Kapitel
Mit dieser besonderen Vorlesungsstunde öffnete sich ein neues Kapitel in meinem Leben: der Klimaschutz hielt Einzug. Natürlich brauchte es dafür weitere Impulse. Einer war, dass in der Vorlesung auch ein Studierender der Physik auf Lehramt und Aktivist der Students for Future Mainz saß. Er lud mich ein halbes Jahr später ein, beim zweiten Durchlauf der von den Students for Future organisierten Public Climate School mitzuwirken, was ich gern zusagte. Dort lieferte ich einen Beitrag für das Schulprogramm mit ähnlichem Inhalt wie in der Vorlesung. Dieser Beitrag wiederum fiel den Scientists for Future Mainz auf, zu denen ich im Nachgang Kontakt bekam. Und so kam eines zum anderen und ich wurde mehr und mehr Teil der Mainzer Klimaschutzbewegung – bis hin zur Kandidatur für ein Bundestags-Direktmandat.
Auch der Public Climate School blieb ich mit weiteren Beiträgen treu, etwa mit einem weiteren Impuls zu Klimabasics auf Mittelstufen-Level und jüngst sogar auch auf Grundschul-Level.
Polymers for Future
In all dieser Zeit passierte noch etwas anderes: Corona kam, und wir erlebten seine Verwerfungen. Im ersten Lockdown 2020 saß ich nachts lang im Homeoffice, um Online-Vorlesungen aufzuzeichnen; und danach nochmal lang auf der Terrasse, um nachzudenken. Über die Pandemie, die Klimakrise, und deren Parallelen. Und über meine eigene Rolle bei all dem. Zu dieser Zeit beschloss ich, meine Forschung und Lehre ganzheitlich dem Klima-Thema zu widmen. Gerade die Physikalische Chemie ist eine Fachdisziplin, in deren akademischer Grundausbildung sich nahezu alle Facetten des anthropogenen Treibhauseffekts in Vorlesungen vermitteln lassen. Ich lasse in meinem einschlägigen Grundvorlesungen mittlerweile keine Gelegenheit mehr ungenutzt dazu. Und die Polymerwissenschaft ist ein Fachgebiet, das vielerlei Lösungen zur Adaption an eine heißere Welt darbietet. Mit Polymeren lässt sich nicht das Klima retten. Aber Polymermaterialien können helfen, auf einem heißeren und trockeneren Planeten Landwirtschaft zu betreiben, Trinkwasser zu gewinnen, Wohnen und Arbeiten von immer mehr Menschen in urbanen Zentren auf ressourcenschonende Weise zu verwirklichen und die Gesundheitsversorgung zu stützen. Ich bin seit einem guten Jahr dabei, meine Forschung vollständig in diese Richtung zu transformieren; ich nenne sie „Polymers for Future“.
Ebenso setzte ich mich dafür ein, größere Forschungsverbünde dafür zusammenzubringen. Einen ersten Erfolg gibt es bereits: gefördert vom BMBF forscht das Projekt HydroDeSal (www.hydrodesal.net), das ich koordiniere, an Hydrogel-basierten Lösungen zur Entsalzung von Meerwasser für Siedlungen am Persischen Golf, einfach getrieben durch den regelmäßigen Tag-Nacht-Wechsel. Das Team dahinter vereint Forschende aus Mainz mit Forschenden aus dem Irak und Iran. Es ist mir eine besondere Ehre, hier partnerschaftlich mit Kollegen aus Ländern zusammenzuarbeiten die zu Zeiten meiner Kindheit noch im Krieg miteinander waren.
Das alles (und noch viel mehr) geht ursächlich auf die kleine E-Mail zurück die ich anfangs erwähnte. Ich würde sie gern hier posten, aber ich finde sie nicht mehr. So bleibt mir nur danke zu sagen. Danke, Scientists for Future, für einen wirklich wirksamen Anstoß.