Sonntag, 24. Juli 2022, 08:00 Uhr
von Prof. Dr. Sebastian Seiffert

Muss Wissenschaft Falschinformationen bekämpfen?

Hin und wieder setze ich strittige Tweets ab. Kürzlich war es wieder so. In einem Tweet sagte ich, eine Kernaufgabe von Wissenschaft im 21. Jahrhundert sei es, Falschinformationen zu bekämpfen. Dazu hier nun eine längere, differenzierte Einschätzung.

Forschung, Lehre und Bekämpfung von Falschinformationen

Irgendwie passiert es mir immer wieder: Es ist Sonntagvormittag. Ich schicke einen Tweet raus. Er verbreitet sich. Um die Mittagszeit wird mir ein Re-tweet durch irgendeinen Großaccount vermeldet. Etwa durch Karl Lauterbach, Renate Künast oder Luisa Neubauer. Und dann geht der Sturm los. Erregte Accounts poltern wüst dagegen. (Nichts gegen sachliche Kritik; die meine ich hier aber nicht.) Oft schon wurde es mir an dieser Stelle dann zu viel ... und ich löschte das Gesagte wieder.

Nicht so am vergangenen Sonntag. Da brauchte es keine Großaccounts. Und es dauerte auch nur drei Stunden bis der Sturm so massiv wurde, dass ich ein frisch abgeschicktes Statement wieder löschte.

Worum ging es? Welch polarisierende Aussage hatte ich getroffen?

Es waren bloß 13 Worte: „Wissenschaft hat im 21. Jahrhundert drei Kernaufgaben: Forschung, Lehre und Bekämpfung von Falschinformationen.“

Am 17.7. schrieb ich um 8:45 Uhr auf Twitter: „Wissenschaft hat im 21. Jahrhundert drei Kernaufgaben: Forschung, Lehre und Bekämpfung von Falschinformationen.“ Gegen 12 Uhr löschte ich den Tweet wieder, weil mir die Reaktionen darauf zu harsch wurden.

Natürlich ist das ein reißerisches Statement. Vor allem das Wort „Bekämpfung“ ist sicher strittig. Ich hatte vor dem Absenden in der Tat darüber reflektiert – und mich am Ende bewusst dafür entschieden. Aber der Reihe nach.

Meine Reaktion auf den Sturm der Entrüstung (übrigens neben gleichsam viel Zustimmung) war, den Tweet wieder zu löschen. Das Thema stellte sich als offensichtlich wohl doch zu komplex und vor allem zu polarisierend für ein Statement im Kurznachrichtenstil heraus. Ich kündigte an, dazu später mal einen längeren, differenzierten Blogbeitrag nachzureichen. Hier ist er nun.

Was ist Wissenschaft

„Im 21. Jahrhundert hat Wissenschaft drei Kernaufgaben“ – so lautete der erste Satz meines Statements. Fangen wir damit an. Was ist eigentlich die Aufgabe von Wissenschaft? Im Grunde steckt die Antwort im Namen: Wissen schaffen. Systematisch. Nach einer soliden, etablierten Methode, die auf kollegialen Checks & Balances beruht.

In meinen Vorlesungen sage ich oft: „In der Wissenschaft suchen wir nicht nach der Wahrheit. Wenn Sie diese finden wollen, dann befassen Sie sich bitte mit Philosophie. In der Wissenschaft geht es uns vielmehr um das beste ABBILD der Wahrheit. Dies nennen wir MODELL.“

Ein Modell ist eine vereinfachte Konzeptualisierung eines natürlichen Zusammenhangs, die möglichst einfach und dennoch weit gültig ist. Ein Modell ist intrinsisch nicht vollumfassend. Es hat Gültigkeitsgrenzen. Innerhalb derer können wir mit dem Modell die Natur beschreiben. Außerhalb davon müssen wir das Modell entweder erweitern, oder ein ganz neues Modell aufsetzen.

Dieser Prozess geschieht in der Wissenschaft durch Irrtum und Verbesserung. Wir können mit Modellen Voraussagen machen und diese verifizieren; wir können allerdings nicht die Modelle selbst verifizieren. Doch wir können sie falsifizieren; indem wir Beobachtungen finden, die mit den Modellen nicht im Einklang sind. Genau dann müssen wir Weiterentwicklungen vornehmen; und eben so funktioniert der wissenschaftliche Fortschritt. Gerhard Vollmer bezeichnete das als „Empor-irren“.

ABER: Dieses Empor-irren, dieser Prozess aus Modellbildung, Falsifizierung, und Neumodellierung geschieht nicht im luftleeren Raum. Er hat eine solide Basis aus gesicherten Erkenntnissen und etablierten Modellen, für die es auch den kritischsten Wissenschaftler:innen bislang nicht gelang, sie zu Fall zu bringen. Die Hauptsätze der Thermodynamik etwa sind ein Beispiel dafür.

Auf Basis dieses Prinzips erlangen wir Verständnis. Wenn wir in der Wissenschaft sagen, dass wir ein Naturphänomen verstanden haben, so meinen wir, dass wir es in bestehende Modelle einordnen und letztlich aus Fundamentalmodellen bzw. Fundamentaltheorien herleiten können.

Wissenschaft im (Des-)Informationszeitalter

Soweit, so gut. Durch diese Arbeitsweise tut Wissenschaft das, was sie eben tut: Wissen schaffen. Jahrhundertelang war sich das selbst genug. Doch das ist nun anders. Denn inzwischen dringt die Wissenschaft in Bereiche vor, die direkte Rückwirkung auf unser Leben und Zusammenleben haben. Etwa im Bereich der Synthetischen Biologie. Oder der Informationstechnologie. Oder der personalisierten Medizin. Demnach tritt der Frage „woran arbeitest Du als Wissenschaftler?“ zunehmend (und zurecht) die Frage „und warum machst Du das?“ an die Seite. Ebenso wie die Frage „und was bedeutet das für mich?“ Nicht zuletzt, weil Wissenschaft steuerfinanziert ist, sind diese Fragen absolut legitim, und Wissenschaft muss sich gegenüber der Bevölkerung stets erklären und rechtfertigen können.

Allerdings gilt das offenbar nicht umgekehrt. Sobald Wissenschaftler:innen der Bevölkerung Handlungsweisen nahelegen, sei es zum Infektionsschutz, zum Klimaschutz oder einfach zum persönlichen Wohlergehen, brechen in Online-Kommentarspalten und unter einschlägigen Hashtags auf sozialen Netzwerken Stürme der Entrüstung los. In ihren extremen Ausläufern erkenne ich eine grundsätzliche Wissenschaftsskepsis, die Wissenschaftler:innen mit Fragen des „cui-bono“ und „ich-frag‘-ja-nur“ Typs bösartige Eigeninteressen unterstellt. Ja selbst Leitmedien gießen nicht zuletzt durch Überschriften wie „Die Lockdownmacher“ Öl ins Feuer.

Ich sehe bei dieser neuen Wissenschaftsskepsis im Wesentlichen zwei Ebenen. Eine Ebene ist die Individuelle, auf der Menschen sagen „Ich will nicht hören, was die mir einreden wollen.“ Soweit, so natürlich. Gefährlich wird es, wenn sich dies mit der zweiten Ebene paart: professionelle Desinformation durch Netzwerke, die die Politik und öffentliche Meinung manipulieren, wie Journalist:innen etwa am Fall des Heartland Institute zeigen konnten. Hinter den Kampagnen stecken Lenkungsköpfe mit Eigeninteressen, die für Macht und wirtschaftliche Profite Falschinformationen verbreiten. Das mögen wir nicht wahrhaben wollen; aber es passiert. Jeden Tag. Gelenkt und gewollt. Und gern aufgenommen von der wohl urmenschlichen Schwäche, einfache Unwahrheiten einer komplexen Realität vorziehen.

In diesem Spannungsfeld sind Falschinformationen wie Treibhausgase: Leichter freigesetzt als wieder eingefangen. Sehr schädlich. Und dienlich dem Profit von einzelnen — zum Nachteil von vielen.

Wissenschaft und Aktivismus

Ist es nun Aufgabe von Wissenschaft, dem entgegenzutreten?

Diese Frage führt uns ins Spannungsfeld aus Wissenschaft und Aktivismus. Darf, ja soll Wissenschaft auch aktivistisch sein? Eine schwere Frage, für die sowohl „ja“ als auch „nein“ nachvollziehbare Antworten sind. JA, weil wir in eine Zeit steuern, in der gesellschaftliche Konflikte und letztlich wohl auch Kriege vermutlich weniger durch unterschiedliche Weltanschauungen begründet sein werden als durch Ressourcenkonflikte – die aufgrund des Ungleichgewichts unserer Lebensweise mit Naturprinzipien und planetaren Grenzen entstehen. Und NEIN, weil aktivistische Wissenschaft wahrscheinlich bei nicht wenigen an Glaubwürdigkeit und Seriosität verliert. Sie ist dann nicht mehr unabhängige Kontrollinstanz, sondern selbst Interessensvertretung.

Wie lösen wir dieses Dilemma? Ich denke, am Ende läuft es auf das Ausschlussprinzip hinaus. In welchen sauren Apfel beißen wir lieber? Oder besser: weniger unlieb?

Was passiert, wenn wir uns Desinformationen und ihren Kampagnen nicht stellen, sehen wir in einer der ältesten Demokratien der Welt: Vor gut 10 Jahren war ich Postdoc in den USA. Damals dachte ich, dass ich nie in einer Gesellschaft leben wolle die wie dort gespalten ist. In der Teile nicht mehr miteinander reden; weil sie dies weder wollen noch können. In der es sogar eigene Online-Datingportale für beide Seiten gibt. Ich glaubte damals fest, auch bei unterschiedlichen Meinungen und Positionen muss es einer Gesellschaft immer möglich sein sich zumindest auszutauschen. Das war für mich ein Wesenskern von Demokratie.

Die USA boten uns schon oft eine Art Blick in die Zukunft. Trends und Entwicklungen von dort schwappten gern einige Jahre später auch zu uns. Eben das begründete meine damalige Sorge, was die Gesellschaft betrifft. Und sie hat sich bewahrheitet. Heute ist auch unsere hiesige Gesellschaft in Teilen gespalten, und es gibt Lager die nicht mehr miteinander reden (können und wollen).

Und wieder blicke ich heute mit Sorge in Richtung USA und sehe, wie dort viele inzwischen in ihrer Parallelwelt leben WOLLEN. Wie sie einfache Unwahrheiten bewusst den komplexen Realitäten vorziehen. Und wie Desinformationsnetzwerke das nur allzu gern bedienen. Und wieder fürchte ich ein Hinüberschwappen genau dessen auch zu uns.

Drei Kritiklinien

Es gab auf meinen Tweet drei Kritikformen. Die erste Form war, dass Wissenschaft keine Falschinformation bekämpfen solle und auch nicht könne, weil sie ja selber inhärent auf Irrtum beruhe. Die Falschinformation von gestern sei die gesicherte Erkenntnis von heute. Die zweite Kritikform war, dass Wissenschaft neutral zu sein habe. Sie solle Wissen schaffen und weitergeben, aber niemals gesellschaftliche Entwicklungen bewerten und schon gar nicht beeinflussen. Und die dritte Form sah Wissenschaft als Teil einer aufkommenden Tyrannei, in der verschwörerische Kräfte die Menschen zu unterdrücken suchen.

Auf den ersten Blick scheint vor allem der erste Kritikpunkt nachvollziehbar. Auf den zweiten Blick allerdings geht er in dieselbe Richtung wie die Unterstellung, (Natur-)Wissenschaft basiere auf vollumfassender Offenheit, nichts sei dort gesichert und alles sei erstmal anzuzweifeln. Das ist nichts weniger als der Versuch, naturwissenschaftliche Aussagen prinzipiell unglaubwürdig darzustellen. Ja, Naturwissenschaft irrt sich empor. Doch das geschieht eben nicht jedes Mal neu aus dem Nichts, sondern dank der naturwissenschaftlichen Methode gibt es ein stetig wachsendes Fundament aus gesicherten Erkenntnissen und nicht-falsifizierbaren, auf Beobachtungen basierenden Theorien. Wir verwerfen dabei zwar Hypothesen, aber verifizieren Ergebnisse. Und selbst verworfene Hypothesen sind nicht unbedingt falsch; oft ist bloß deren Gültigkeitsbereich eingeschränkt. All dies, all jene gesicherten Fundamente und eben jene etablierte Methodik bieten eine solide Basis, von der aus Wissenschaft Falschinformationen fundiert und vertrauenswürdig abwehren kann. Nichts mehr und nichts weniger darf ihr Anspruch dabei sein.

Eben daher ist bei solch Kritiklinien ganz besonders auf den Tonfall zu achten: Will die Person wissenschaftliche Aussagen prinzipiell unglaubwürdig machen (das ist zumindest in meiner Wahrnehmung leider die häufigste Variante), oder geht es wirklich um die Methode des Erkenntnisgewinns. Um es klar zu benennen: Den Manipulationsansatz, (Natur-)Wissenschaftsaussagen als prinzipiell anzuzweifeln darzustellen, nehme ich inzwischen als verbreitete Leugnungstaktik wahr, und ich finde, das gehört auch so benannt und behandelt.

Der zweite Kritikpunkt ist wohl der strittigste. Wer soll Informationen bewerten? Nun, ich würde sagen: wer, wenn nicht zumindest -auch- die Personen, die das Wissen und die Übersicht zu solcher Bewertung haben? Unter meinem Tweet antworteten einige, dies sei Aufgabe des Journalismus. Eben hierzu hat Sara Schurmann beim Podium „Muss Wissenschaft lauter werden“ am 13.5. in Mainz allerdings herausgestellt, dass viele Journalist:innen ihre Aufgabe in der Bereichterstattung, nicht jedoch in der Bewertung sehen; diese Rolle falle vielmehr in den Bereich ... der Wissenschaft. Dort aber spielen viele den Ball ebenso gern zurück. Und beide Positionen sind irgendwie nachvollziehbar; ein Paradebeispiel für ein Dilemma. Am besten wäre es wohl, wenn -beide- sich dieser Aufgabe annehmen — am allerbesten gemeinsam. Bis dahin aber sollten wir Wissenschaftler:innen vielleicht einfach mal anfangen.

Der dritte Kritikpunkt ist der wohl gefährlichste, denn er birgt eine gesellschaftliche Abwärtsspirale der Gegen-Aufklärung, hinein in ein neues Mittelalter. Und er wird in der Tat durch den ersten Punkt befeuert. Wer nicht versteht, wie Wissenschaft dazu kommt bestimmte Sachverhalte als wahr zu betrachten, und dass es dabei nicht auf Personen oder Meinungen ankommt, sondern darauf wie gut die Hypothese abgesichert ist, bekommt leicht den Eindruck, dass dabei Willkür und Machtspiele am Werk seien, um irgendeine herbeiphantasierte Agenda durchzudrücken.

Wissen schaffen im Dialog

Wie aber ist nun damit umzugehen? Soll, ja muss Wissenschaft Desinformationen bekämpfen? Ich denke ja! Nicht, weil dies eine inhärente Kernaufgabe von Wissenschaft ist. Sondern einfach, weil es nicht zu tun schlicht zu gefährlich ist. Und weil es -zumindest bisher- sonst fast niemand tut. Wichtig dazu ist jedoch zweierlei.

Erstens braucht es Glaubwürdigkeit. Ich habe oben gesagt, dass wir an einem Punkt sind, an dem Wissenschaft (zumindest in Teilen) immer stärker auf Individuum und Gesellschaft zurückwirkt. Hier ist es essenziell, sich zu erklären und den Dialog zu suchen. Empathisch. Auf Augenhöhe. Menschen verspüren zurecht Sorgen. Unser Alltag ist stressgeladen. Wir haben Zukunftsängste. Erleben den Verlust von sozialem Kitt. Hierauf sind Krallenausfahren und Flucht (in Parallelwelten) wohl natürliche Reaktionsmuster. Deshalb bedarf es immerfort Erklärungen. Wir müssen erklären, was Wissenschaftler:innen tun, warum das gut und wichtig ist, und was das Nützliches bringt. Und wir müssen erklären, warum wir dennoch als Gesellschaft und als Einzelne unser Verhalten anpassen müssen. Warum es keine technischen Wunderlösungen gegen die großen Gegenwartskrisen gibt und geben wird. Und warum unverhandelbare Naturprinzipien genau jetzt Verhaltensänderungen von uns verlangen — und nicht etwa dunkle Bünde, die im Verborgenen mit Windrädern und Schutzimpfungen eine Unterdrückungs-Tyrannei aushecken. Die Kanäle dafür können und müssen vielfältig sein. Social Media. Leser:innen-Briefe. Und am besten wohl das persönliche Gespräch im direkten Umfeld, auf Grundlage gegenseitigen Vertrauens und Respekts.

Ebenso wichtig ist dabei gleichsam das Zuhören. Wir müssen aufnehmen, warum Menschen verunsichert sind. Ihnen zeigen, dass sie wichtig sind. Und dass ihre Sorgen zählen. Sonst werden genau diesen Punkt andere Akteure bedienen; nämlich die mit den oben genannten Eigeninteressen. Wieder kann dies in persönlichen Gesprächen geschehen. Und ebenso gern auch auf politischer Bühne. Unsere Parlamente sind zu größten Teilen, ja quasi mit absoluten Mehrheiten, von Juristen und Wirtschaftsfachleuten besetzt. Das sind wichtige Disziplinen, gerade wenn es um Gesetzgebung für ein hochentwickeltes Industrieland geht. Es bedarf aber fortan auch deutlich höhere Repräsentanzen von Wissenschaftler:innen — eben weil die großen und künftigen Krisen auf Naturprinzipien beruhen. Dabei ist es egal in welcher Partei das geschieht; ich will hier für keine werben (auch wenn ich selbst in einer tätig bin), sondern vielmehr dazu ermuntern in allen Parteien wissenschaftliche Köpfe zahlreicher werden zu lassen.

Zweitens braucht es Einheit. Um Desinformationen wirksam zu begegnen braucht es viele, viele Wissenschaftler:innen die mitwirken. Einfach damit sich immer eine fachlich passende Person findet um Desinformationen fundiert zu entlarven. Ich als Chemiker bin nur bedingt glaubhaft, wenn es etwa um die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion geht. Solange es kaum jemand sonst tut, äußere ich mich dazu und gebe mein Verständnis des aktuellen Kenntnisstands wieder. Es wäre aber viel besser (und mir auch viel lieber) wenn dies aus erster Hand geschähe. Hierzu braucht es VIELE Stimmen. Die Wissenschaft muss genau hier lauter werden — „lauter“ im Sinne von stimmgewichtiger.

Wer, wenn nicht wir

Viele in der Wissenschaft jedoch wollen das nicht. Sie sehen ihre Aufgabe woanders. Wollen vor allem in Ruhe forschen (lehren leider oft weniger) und auf Konferenzen reisen. Diese Sicht jedoch stammt aus dem (zweiten Teil vom) 20. Jahrhundert. Aus einer Zeit, in der Desinformationen nicht in dem Ausmaß existierten wie heute. In der gesellschaftliche Ruhe herrschte, und eben genau jenes ungestörte Forschen (und Konferenzreisen) ermöglichte. Fortan aber, im 21. Jahrhundert, werden Desinformationen eine entscheidende Rolle in Politik und Gesellschaft spielen. Und sie werden gezielt und wohl aufbereitet von Netzwerken gestreut, die Eigeninteressen haben. Und letztlich werden sie möglicherweise die freie Wissenschaft selbst zerstören.

Es mag also vielleicht nicht die angestammte Aufgabe von Wissenschaft sein, hier tätig zu werden. Dennoch müssen wir uns dieser Aufgabe annehmen — gemeinsam mit Politik, Journalismus, und möglichst vielen weiteren gesellschaftlichen Akteuren. Einfach, weil Desinformationen da sind. Weil sie Teil unserer Welt sind; und ganz besonders Teil unserer Zeit.

Insofern gilt: Wissenschaft hat im 21. Jahrhundert drei Kernaufgaben: Forschung, Lehre und Bekämpfung von Falschinformationen.