Samstag, 11. Dezember 2021, 00:20 Uhr
von Prof. Dr. Sebastian Seiffert

6 Jahre Paris – und nun?

Vor 6 Jahren wurde das Pariser Abkommen vereinbart. Und heute? Der CO₂-Anteil in der Atmosphäre ist auf 415 ppm gestiegen. Die 2°C-Grenze steht infrage. Klimaschutz ist zwar eine große Bewegung, aber dennoch randständig. Ist alle Hoffnung verloren?

Eine neue Hoffnung

Am 12.12.2015 vollzogen fast alle Staaten der Weltgemeinschaft eine diplomatische Meisterleistung. Sie verabschiedeten in Paris in nie zuvor gekannter Einigkeit ein Abkommen, das wissenschaftsbasierten Klimaschutz ins Völkerrecht brachte. Ziel sollte sein, die Erdüberhitzung auf deutlich unter 2°C zu begrenzen, sowie Anstrengungen zu unternehmen, sie sogar unter 1,5°C zu halten. Wie nötig das ist, haben wir jüngst erleben müssen: Die Klimakrise zeigt schon bei knapp 1,2°C durchschnittlicher globaler Erwärmung massive Einschläge.

Das Pariser Abkommen war historisch. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung war es hierzulande zunächst kein großes Thema. Die sogenannte Flüchtlingskrise bestimmte alles — auch im Folgejahr 2016. Das Jahr 2017 stand dann im Zeichen der vorigen Bundestagswahl, mit Themen wie „Schulz-Zug“ und Pflegenotstand.

Seit 2018 nahm der Klimaschutz schließlich Fahrt auf – zunächst vor allem auf der Straße. Greta Thunberg löste mit ihrem Schulstreik für das Klima eine globale Welle aus, die es fast geschafft hätte transformative Prozesse in Gesellschaft und Politik auszulösen. Doch es kam anders. Die Ursache war eine Zoonose auf einem Wildtiermarkt im Chinesischen Wuhan im Herbst 2019.

Eine große Zäsur

Die Pandemie des SARS-CoV2 Erregers warf in den vergangenen zwei Jahren alles durcheinander. Am Anfang schöpfte ich daraus tatsächlich Hoffnung. Ich hatte die Hoffnung, dass Menschen nun einsehen würden, dass die Natur und ihre Gesetze einen unverhandelbaren Rahmen setzen. Dass wir uns innerhalb dieses Rahmens anpassen müssen und physikalische Handlungs- und Wachstumsgrenzen akzeptieren müssen. Denn sonst nehmen Naturkrisen ein Momentum auf, das uns überrollt. Und tatsächlich haben wir die erste Corona-Welle gemeinsam genauso gemeistert. Wir waren einig. Wir waren solidarisch. Wir haben auf Wissenschaft gehört. Wir haben Masken genäht und sind zuhause geblieben. Und wir waren damit erfolgreich.

Doch dann kam der Rückfall in alte Muster und damit Welle 2. Danach kamen Mutationen und Welle 3. Zu dieser Zeit hörte ich auf zu hoffen. Doch noch immer hatte ich Vertrauen. In einen Impfstoff aus Mainz (und in genauso gute Stoffe von anderen Orten). Inzwischen müssen wir lernen, dass uns nicht einmal das vor einer brutalen 4ten Welle bewahren konnte.

Corona wurde oft als Modellkrise für die Klimakrise betrachtet. Ich teile diesen Blick. Und gerate dadurch ins Resignieren. Die Pandemie lehrt uns was passiert, wenn wir nicht umsichtig und vorsichtig handeln. Und sie lehrt uns, dass wir offenbar genau das nicht ausdauernd können.

Gleichzeitig schiebt Corona das Klima-Thema an den Rand. Wir werden jetzt wieder einmal für mindestens ein Vierteljahr über nichts anderes reden. Genau zu der Zeit, als sich die neue Bundesregierung konstituiert und eine Legislatur beginnt, die zu den letzten gehört um überhaupt noch Weichen für einen klimagerechten deutschen Beitrag zu den Pariser Schutzzielen stellen zu können. Wir könnten dadurch schon bald in gefährliche Multikrisenlagen kommen. In eine Situation, in der wir so sehr damit beschäftigt sind Notmaßnahmen gegen Pandemie und Klimafolgen umzusetzen, dass Vorsorge und Schutz keinen Raum mehr findet.

Gleichsam ist die Gesellschaft zerrissen, Debatten verroht und ein gemeinsames Handeln kaum noch denkbar. Und die politischen Lenkungskräfte setzen keine Zeichen und stellen keine Weichen. Bezeichnend war für mich das Bild, als die Lenker:innen der G20-Staaten in Rom nach tagelangen Gesprächen keine einzige durchschlagende und weitreichende globale Schutzmaßnahme vereinbarten, dann aber medienwirksam für unser Klima Münzen in einen Wunschbrunnen warfen.

Eine letzte Hoffnung

Ist also alle Hoffnung verloren? Beinahe. Aber es gibt einen letzten Hoffnungsschimmer. Unsere Gesellschaft ist wie das Klima ein komplexes System. Es gibt bestimmte Parameter-Bereiche in denen sich Änderungen träge vollziehen und das System auch bei Erschütterungen in seine Komfortzone zurückkehrt. Aber komplexe Systeme können auch kippen, wenn sich Eigendynamiken darin entwickeln. Beim Klima ist das ein großes Risiko. Bei der Gesellschaft ebenso. Aber dort kann ein Kippen auch zum Guten passieren. Die menschliche Natur hat einen gleichsam fatalen wie hoffnungsstiftenden Wesenszug: Wir machen gern das, was alle tun. Wenn es also gelingt einfach nur genug Menschen zum Klimaschutz zu bewegen, dann verschieben sich soziale Normen und gesellschaftliche Konventionen. Und „genug“ bedeutet hier gar nichtmal die Mehrheit. Es kann reichen, wenn etwa 25% der Menschen in eine neue Richtung gehen. Dies löst ein Momentum aus, dem dann viele folgen. Einfach, weil es dann Trend ist, und weil die Herde es tut. Und dann kann ein gesellschaftlicher Wandel sehr schnell gehen.

Wir haben solche schnellen Transformationen schon erlebt. Ende der 2000er Jahre verbreiteten sich Smartphones rasant: Nach nur wenigen Jahren hatten alle eins. In den 2010er Jahren passierte dasselbe mit Messengern: Nach nur wenigen Jahren haben sie unsere Kommunikationsweisen komplett verändert. Und auch das Konsumverhalten vieler Menschen wandelt sich. Veganes Essen wird beispielsweise immer beliebter. Ja sogar Photovoltaikanlagen können sich in Neubaugebieten schnell auf Nachbardächer ausbreiten — das zeigen Satellitenbilder.

Diese Hoffnung ist nicht mehr als ein Schimmer. Aber auch nicht weniger. Aufzugeben ist schlichtweg keine Option. Und für Pessimismus haben wir schlichtweg keine Zeit. Das mag naiv sein. Doch nur mit Naivität lässt sich das Blatt wenden. Der Verstand kann die Klimakrise in all ihrer erschlagenden Komplexität und Aussichtslosigkeit nicht überwinden. Aber das Herz kann. Folgen wir ihm. Paris gilt nicht umsonst als Stadt der Liebe.