Von Wundern und Wünschen
Der Weltraum. Unendliche Weiten. Und unendliche Leere. Der größte Teil davon ist ... nichts. Vakuum. Eine Partikeldichte von bloß einem Teilchen pro Kubikzentimeter im interstellaren Raum; im intergalaktischen Raum sind es noch viel weniger. Nur hier und dort findet sich vereinzelt etwas Materie. Und die besteht zu 99,9% aus Wasserstoff und Helium.
Durch Gravitation bilden sich Gaswolken; und die werden heiß. Es entstehen Sterne. Sie bestehen ihrerseits erstmal nur aus dem, was eben zur Verfügung steht: Wasserstoff und Helium. Doch in ihnen entstehen daraus schwerere Elemente. Die Sterne sind die Schmelztiegel des Periodensystems. Am Ende ihrer Existenz werden sie zu Supernovae; und schleudern ihre schweren Elemente in den Raum.
Der Prozess beginnt danach erneut. Die Gravitation verdichtet die Materie aufs Neue; und es entstehen neue Sterne. Eine zweite Generation. Und Planeten in ihrer Umgebung. Auch deren Zusammensetzung entspricht zunächst dem, was eben gerade da ist: hauptsächlich Wasserstoff und Helium. Und diesmal eben auch einige schwere Elemente. Die großen Gasriesen halten diese Zusammensetzung durch ihre schiere Masse beisammen. Doch kleinere Planeten verlieren ihre leichten Elemente; und werden fest. So wie der dritte Planet unseres Sonnensystems. Er besteht aus Gestein. Und das ist noch nicht alles: Nachströmende Gase aus dem Planeteninnern, etwa infolge von Vulkanausbrüchen, bilden eine Atmosphäre. Auch die entspricht nicht der Ursprungszusammensetzung des Sonnensystems, sondern ist angereichert durch chemische Verbindungen, die eben durch Verbindung mit Mineralien anfangs eingefangen werden konnten: Wasser, Ammoniak, Schwefelwasserstoff, Kohlendioxid und andere.
Dies wiederum erzeugt einen natürlichen Treibhauseffekt. Und der hebt die Oberflächentemperatur in Bereiche, in denen Wasser flüssig vorliegt. Unter dem Einfluss von UV-Strahlung und Gewittern entwickeln sich Aminosäuren; und schließlich das unglaublichste Phänomen, das wir uns vorstellen können: Leben. Geschützt vor der kosmischen Strahlung in der flüssigen Umgebung der Ur-Ozeane. Das Leben wiederum reichert Sauerstoff in der Atmosphäre an, der schließlich auch das Festland vor energiereicher kosmischer Strahlung schützt; und damit schlussendlich auch uns Menschen eine Heimat öffnet.
Das menschliche Leben wiederum entwickelt sich weiter. Nutzt Werkzeuge. Kann Geschehnisse vorausdenken. Und kann zusammenarbeiten. All dies schafft neue Wunder: Kunst und Kultur. Gemeinschaft und Gesellschaft. Und die Fähigkeit, all das Einzigartige zu erkennen, dem es sein Dasein verdankt. Sowie vielleicht auch einst, wie sein eigenes Wirken auf es selbst zurückwirkt.
Es sind diese Zusammenhänge, diese Wunder, diese unfassbaren Einzigartigkeiten, die mich für Naturwissenschaft im Allgemeinen und Chemie im Speziellen begeistern. (Ganz besonders übrigens für Polymerchemie — die wahre Brücke zwischen Materie und Leben, zwischen Physik und Biologie.) Und die mich auch in mancher Durststrecke weiter antreiben, durch mein Schaffen diese Wunder zu erhalten.
All dies wird mir stets immer wieder klar, wenn ein neues Semester beginnt. Wenn sich der Campus mit Leben füllt. Wenn ich selbst daran erinnert werde, wie es zu Beginn meines Studiums genauso war. Und wenn ich heute in den Anfangsstunden meiner Grundvorlesungen probiere, eben diese wundervolle Geschichte zu erzählen. Die einzigartige Geschichte einer Welt voller Wunder.
Liebe Erstsemester: Ich weiß, ihr hört dieser Tage viele Grußworte; manche klingen nach Floskeln. Und ihr habt sicherlich viel um die Ohren. Dennoch möchte auch ich euch gern noch etwas mit auf den Weg geben.
Für euch startet dieser Tage ein neuer Lebensabschnitt: das Studienleben. Auch in naturwissenschaftlichen Fächern.
Worum geht es in einem naturwissenschaftlichen Studium? Natürlich erstmal um ebensolche Fragen. Und um einen guten Abschluss eines Tages. Doch unser Anspruch sollte weiter reichen. In einem naturwissenschaftlichen Studium muss es heute auch um gesellschaftliche Fragen gehen. Bisher drehte sich die Naturwissenschaft fast ausschließlich um technische "Was" oder "Wie"-Fragen. Das reichte, da Menschheitskrisen bisher nicht aufs Engste mit Naturgesetzen verwoben waren. Das ist nun anders. Die heutigen Krisen, allen voran die Klimakrise und die Biodiversitätskrise, gehen sowohl auf Naturgesetze als auch unsere Lebens- und Wirtschaftsweise zurück. Die Wissenschaft muss daher fortan auch Fragen vom Typ "Was nun?" und "Wie weiter?" beantworten.
Ihnen mögen solche Fragen jetzt, kurz nach Schulabschluss oder im frühen Bachelorstudium, sicher ziemlich abstrakt vorkommen. Gerade erst hat für Sie eine neue Lebensphase begonnen, und Sie denken noch wenig darüber nach, was Sie einst in Ihrem (Berufs-)Leben tun und erreichen wollen. Hierzu sei Ihnen folgendes an die Hand gegeben: Ein naturwissenschaftliches Studium endet in aller Regel nicht mit einem Masterabschluss; sondern mit einer Promotion. Als promovierte Naturwissenschaftler:innen werden Sie später letztlich vor allem eines sein: Führungskräfte!
Sie werden einst hoch qualifizierte Personen sein, denen die Führung von Menschen zur Lösung dringlicher Probleme anvertraut wird. Und diese Probleme werden groß sein. In Ihrem (Berufs-)Leben wird die Menschheit die größte und schnellste Transformation aller Zeiten schaffen müssen: die komplette Wandlung unserer Wirtschafts- und Lebensweise in eine vollständig decarbonisierte, nachhaltig-zyklische, klimagerechte Form. Wenn wir das nicht kontrolliert tun, so wird es unkontrolliert über uns kommen. Unsere Wahl hierbei lautet ’change by design’ oder ‘change by disaster’. Und selbst wenn uns das gelingt, werden die Folgeschäden des bereits eingetretenen Klimawandels groß sein.
Für all dies brauchen wir zweierlei. Erstens technische Lösungen für technische Probleme. Und zweitens wissenschaftlichen Rat. Wir brauchen besonnene, in Zusammenhängen denkende Menschen, um komplexe und multidisziplinäre Herausforderungen zu bewältigen. Wir brauchen Sie. Alle. Jetzt schon.